The Mill: Newsletter-basierter Lokaljournalismus mit Qualitätsanspruch

Gastbeitrag von unserem UK-Trendscout Barbara Geier

Immer weniger Budget für Journalismus, der Kontext und Informationstiefe herstellt, und ein gebeutelter Lokaljournalismus, der online auf eine kostenlose Verbreitung setzt und mittels Clickbait der Reichweite nachjagen muss: Diesem Dilemma setzt Joshi Herrmann seit 2020 The Mill entgegen. Eine Newsletter-Lokalzeitung für den Großraum Manchester, die über die Newsletter-Abo-Plattform Substack vertrieben wird.

Herrmann, der sich ganz bewusst die traditionsreiche Stadt Manchester für sein journalistisches Unternehmen ausgesucht hat und dafür von London in den Norden des Landes gezogen ist, hat ein klares Rezept: Das Publikum muss die Haupterlösquelle sein und die Qualität muss stimmen. Sein Motto: Weniger ist mehr. The Mill konzentriert sich in ihren Newslettern im Wesentlichen auf ein lokales Thema, das in einem ausführlichen Feature unter die Lupe genommen wird – und setzt sich damit klar vom Platzhirschen Manchester Evening News (MEN) ab. Mit einer Online-Reichweite von rund 18 Millionen ist MEN die größte regionale Medienmarke im Land und gehört zu Reach, dem wiederum größten Regionalverlag des Landes, der auf freie (viele) Inhalte und Werbeerlöse setzt.

The Mill Strategie: Lokaler Journalismus muss von der Leserschaft bezahlt werden

Genau das hält Herrmann, der in London vier Jahre Redakteur beim namhaften Evening Standard war, für die falsche Strategie. Aus seiner Sicht hat sie im britischen Lokaljournalismus zu einer Fließbandproduktion minderwertiger Online-Inhalte geführt. Oder wie er es in seinem Manifesto zur Gründung von The Mill ausdrückte: „Das Problem ist das Geschäftsmodell – eines, das Leser zwingt, sich jeden Monat durch Dutzende von Geschichten über Corrie [eine beliebte britische Soap Opera] und Celebrity Gogglebox [ein erfolgreiches Unterhaltungsformat] zu wühlen und Tausende von nervigen Anzeigen zu betrachten, bevor man die guten Sachen findet.“

Mit solchen Aussagen machte er sich bei den Kollegen der Manchester Evening News nicht beliebt, traf aber offensichtlich einen Nerv bei der Bevölkerung: Ende November hatten die Newsletter von The Mill 27.000 Leser – zu Jahresbeginn waren es noch 16.000 – und 1.600 zahlende Abonnenten. Im Vergleich: Die Auflage der Printausgabe der Manchester Evening News lag im Juni bei 20.286, 8.780 davon wurden im Einzelverkauf abgesetzt, 2.131 im Abonnement, das in Großbritannien traditionell eine untergeordnete Rolle spielt. Der Rest: Gratisexemplare.

Im Kontrast zu den fallenden Auflagenzahlen britischer Lokalzeitungen kann man aktuell bei The Mill zusehen, wie die Gruppe der „Millers“ – so die Ansprache der Leserschaft – wächst: Das Team verschickt vier Newsletter pro Woche, in denen auch regelmäßig transparent darüber informiert wird, wie viele neue Anmeldungensowie zahlende „members“ es gibt und welche Artikel zu besonders vielen neuen Registrierungen geführt haben. Wer zahlt, bekommt neben den zwei Newslettern mit frei zugänglichen Inhalten zwei weitere „members only“-Ausgaben. Zudem haben Abonnenten die Möglichkeit, Artikel zu kommentieren. Kosten: 7 Pfund pro Monat oder 70 Pfund im Jahresabo.

Engagierte Community unterstützt Wachstum

Auffallend sind das Engagement und die Begeisterung der Leserschaft, die „ihre Zeitung“ auf Social Media sehr rege weiterempfiehlt und feiert. The Mill macht sich das zunutze: Über einen „Share“-Button im Newsletter können diese seit Anfang November geteilt und dabei nachverfolgt werden, wer die meisten neuen Leser generiert. Wer aktuell bis Weihnachten beispielsweise in der Liste der fünf Top-Weiterempfehler landet, wird mit einem Preis belohnt. Nächstes Ziel: 2.200 Abos bis Ende Oktober 2023. Mit diesen zusätzlichen Erlösen könnte ein weiteres Redaktionsmitglied finanziert – aktuell sind es zwei Journalisten in Vollzeit sowie Herrmann und ein weiterer Kollege auf Teilzeitbasis – sowie das Budget für Freie und die Gehälter erhöht werden. 700 zusätzliche Abos ergeben beispielsweise nach dem Abzug der zehnprozentigen Umsatzbeteiligung von Substack ein Plus von circa 4.500 Pfund pro Monat oder 53.000 Pfund im Jahr.

Peanuts? Alles nicht der Rede wert? Aus der Perspektive großer Verlage mag das so sein, und zum Start bekam Herrmann aus den entsprechenden Management-Etagen auch zu hören, dass sich sein Vorhaben nicht rechnen werde. Mit dem Erreichen des Break Even hat er das Gegenteil bewiesen und sich gleichzeitig mit seinem Team einen Ruf für Qualitätsjournalismus erschrieben. Damit zeigt The Mill im britischen Herbst, wie mit einer klaren Strategie, Lesereinbeziehung und der pragmatischen Nutzung einer einfachen Technologieplattform Lokaljournalismus weiterhin verkauft werden kann – und nur darauf kommt es im Endeffekt doch an.