
Mit KI-Tools für Engagement: Wie Hearst und inewsource mit Quizzen und Erklärbots Nutzer binden
Gastbeitrag von unserem Trendscout Ulrike Langer, Autorin des KI-Newsletters News Machines
04.12.2025 - Zwei sehr unterschiedliche US-Publisher – die Hearst-Zeitungskette und die Nonprofit-Redaktion inewsource in San Diego – verfolgen dieselbe Strategie: Mit KI-gestützten Engagement-Tools die Abhängigkeit von Search-Traffic zu reduzieren. Automatisierte News-Quizze, Chatbots und Erklärbots sollen Nutzer auf der eigenen Plattform halten, statt sie nach einem Artikel wieder zu verlieren.
Hearst: Quiz-Produktion in 30 Minuten statt einem Arbeitstag
Tim O'Rourke leitet den DevHub bei Hearst Newspapers, ein Entwicklungslabor für 24 Tageszeitungen und 52 Wochenzeitungen in den USA. Das Ziel: Die Hearst-Titel durch „einzigartige lokale Leser-Tools” unabhängiger vom Search-Traffic zu machen.
Das Quiz-System „EmCee” nutzt GenAI, um besonders gut performende Stories in Multiple-Choice-Quizze zu verwandeln. Was früher ein ganzer Arbeitstag für Redakteure war, dauert jetzt 30 bis 60 Minuten. Hearst trackt KPIs (Key Performance Indicators) rund um eingesparte Arbeitsstunden und investiert die gewonnene Zeit in mehr Berichterstattung.
Die Quiz-Variationen spiegeln lokale Prioritäten: News-Quizze, ein Sport-Quiz des Houston Chronicle in der sportbegeisterten texanischen Großstadt oder ein Geschichts-Quiz des San Francisco Chronicle auf Basis von 156 Jahren Berichterstattung über die Metropole am Pazifik. Entscheidend laut O’Rourke: „Ein Human ist im Loop und hat die Kontrolle."
Weitere Tools: Der Restaurant-Chatbot „Chowbot” nutzt lokales Gastronomie-Fachwissen und nutzt die Stärken der jeweiligen Lokaltitel (z. B. in Houston die Kolumnen eines dort beliebten Gastrokritikers). „Meeting Monitor” hat bereits über 250 Ratssitzungen abgedeckt und wurde vom internen Tool zur öffentlichen Version für Houston Chronicle-Leser.
O'Rourkes Philosophie: „Zentrale technische Expertise gemischt mit lokalem Marktfachwissen." Die Tools „schneiden bei der Conversion überdurchschnittlich gut ab. Sie sind keine Gimmicks, sondern wesentliche Abo-Treiber.
inewsource: Tools für Barrierefreiheit und Zeitersparnis beim Lesen
Die Nonprofit-Website inewsource in San Diego setzt KI gezielt ein, um ihre Beiträge für neue Zielgruppen zugänglicher zu machen, Nutzer zu engagieren und um neue zahlende Mitglieder zu gewinnen. Giovanni Moujaes, Assistant Editor Audience and Innovations, zieht eine klare Grenze beim Einsatz von KI: „Wir glauben nicht, dass KI Artikel schreiben sollte, die unsere Reporter selbst schreiben könnten."
Das Tool „Contextualizer” hebt Fachbegriffe hervor. Ein Klick öffnet ein Pop-up mit Erklärung, verwandten Artikeln und Spendenaufforderung. Als die frühere Version nicht mehr funktionierte, weil der Anbieter pleiteging, nutzte Moujaes ChatGPT zur Entwicklung eines eigenen Tools.
KI-generierte Story-Zusammenfassungen (Tool von Abridged Media) erzeugen erhöhte Verweildauer. Jede Kurzfassung trägt den Hinweis: „Von KI generiert, von Menschen redigiert." Moujaes: „Nichts ist ungefilterte KI." Die Zusammenfassungen halten Nutzer auf der Website, die den Artikel sonst gar nicht lesen würden: „Die Wahl ist, ihnen eine verdauliche Version zu bieten oder sie zu verlieren."
Barrierfreie Audio-Narration (erzeugt mit Hilfe von Everlit/ElevenLabs) dient ebenfalls dem Ziel, breitere Nutzergruppen zu erreichen: Leser mit Legasthenie oder ADHS sowie Pendler.
Interne Tests bei inewsource haben ergeben, dass Leser direkt nach der Nutzung spezifischer KI-Tools eher bereit sind, die Website finanziell zu unterstützen. Besonders erfolgreich sind Spendenaufforderungen mit direkter Koppelung an „Contextualizer”.
Was Moujaes und seine Kollegen entwickeln, nutzt auch weiteren Lokalredaktionen. Moujaes hat das News Product Alliance AI Collaboration Lab mitgegründet, das ein Open-Source-Schema entwickelt, um mit Hilfe von KI verstreute First-Party-Daten (Mailchimp, Umfragen, Salesforce) gemeinsam zu analysieren. Das Ziel: das Publikum granular verstehen, zielgerichtete Newsletter für Superfans erstellen, noch unabhängiger von Search Traffic werden und die Verweildauer und das Engagement auf eigenen Plattformen erhöhen.
Drei strategische Erkenntnisse
Lokales Wissen schlägt generische KI: Hearst kombiniert zentrale Tech-Infrastruktur mit lokalem Content-Fachwissen. O'Rourke: „In fünf Jahren wird jeder die gleichen Tools haben. Aber ihr könnt das Spiel mit lokalem Wissen gewinnen."
Human-in-the-Loop ist nicht verhandelbar: Beide Publisher bestehen auf redaktionelle Kontrolle. O’Rourke betont: „Wir sind im Genauigkeitsgeschäft." Und Moujaes will redaktionelle Kreativität und Kontrolle nicht aus der Hand geben.
Barrierefreiheit erweitert die Zielgruppe: inewsource zeigt, dass Accessibility-Features Nutzer erreichen, die man sonst verlieren würde. Audio, Zusammenfassungen und Erklärtools halten Menschen bei der Stange, die keine Zeit für tiefergehende Lektüre haben.
Bottom Line
Erfolgreiche KI-Engagement-Strategien erfordern lokales Fachwissen, strenge redaktionelle Kontrolle und realistische Erwartungen. Hearst und inewsource zeigen: KI-Tools können Search-Abhängigkeit reduzieren, Engagement stärken und Abos konvertieren – aber nur, wenn sie echte Probleme lösen, echten Nutzerbedürfnissen dienen und menschliche Expertise verstärken. Der Wettbewerbsvorteil liegt nicht in der KI selbst, sondern im lokalen Wissen, das die KI zugänglich macht.










