„Next Level Local News“: Wie Community und Gamification dazu beitragen können, den Lokaljournalismus zu retten

04.12.2025 - Wie kann der Lokaljournalismus der Zukunft aussehen, zwischen Community-Bindung, Gamification und neuen Wegen der Nutzerbeteiligung? Prof. Christof Seeger von der Hochschule der Medien Stuttgart erforscht im Studiengang Mediapublishing, wie lokale Medienmarken wieder Relevanz gewinnen können und warum Vertrauen heute vor allem über Erlebnisse entsteht. Zukünftig will er sogar noch einen Schritt weitergehen: Mithilfe eines digitalen Zwillings und der Verknüpfung mit UserNeeds soll herausgefunden werden, wie Künstliche Intelligenz die Arbeit in Redaktionen künftig verändern könnte.

Herr Professor Seeger, Sie haben zusammen mit dem VDL und Studierenden untersucht, was junge Menschen unter lokalen Nachrichten verstehen. Was kam dabei heraus?

Zunächst einmal hat sich bestätigt, was viele Redaktionen bereits vermuten: Junge Menschen stehen lokalen Medien oft mit Distanz gegenüber, weil sie sich in den bestehenden Formaten kaum wiederfinden. Lokale Nachrichten erscheinen ihnen häufig nicht anschlussfähig an ihre digitalen Lebenswelten oder an Themen, die sie unmittelbar betreffen.

Harter Befund! Führt da überhaupt ein Weg zueinander?

Auf jeden Fall. Die Distanz ist kein Zeichen von Desinteresse, sondern ein Hinweis darauf, dass die Ansprache nicht mehr zeitgemäß ist. Viele Befragte haben den Wunsch geäußert, stärker eingebunden zu werden: Sie möchten mitreden, Themen mitgestalten und sich auf Augenhöhe austauschen. Das ist eine große Chance für den Lokaljournalismus. 

Wer junge Zielgruppen erreichen will, muss Kommunikation als Dialog verstehen – digital, interaktiv und zeitsparend. 

Genau darin liegt das Potenzial, sie wieder für lokale Inhalte zu begeistern.

Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, dass lokale Medien stark bleiben – gerade in Zeiten, in denen Informationen überall verfügbar sind?

Weil lokaler Journalismus ein wichtiger Teil unserer Demokratie ist. Er sorgt dafür, dass Menschen wissen, was direkt vor ihrer Haustür passiert – ob es um Gemeinderat, Schule oder Straßenbau geht. Wenn das nicht mehr vorhanden ist, sprechen wir von „News Deserts“. Studien zeigen: Wenn weniger über lokale Themen berichtet wird, sinkt die Wahlbeteiligung, und extreme Positionen gewinnen an Gewicht. Das betrifft letztlich das Fundament unserer Gesellschaft. Aber auch wirtschaftlich ist der Lokaljournalismus entscheidend. Der Lokalteil ist oft das Zugpferd eines Verlages.

Wenn wir also wollen, dass lokale Medien überleben, müssen sie für neue Zielgruppen wieder relevant und erlebbar werden.

Sie sprechen von „Erlebnissen“ mit der Marke. Was meinen Sie damit genau?

Eine lokale Medienmarke funktioniert heute nicht mehr nur über Inhalte. Sie lebt von Beziehungen. 

Menschen bauen Vertrauen auf, wenn sie gute Erlebnisse mit einer Marke haben. Das kann ein inspirierender Beitrag sein, eine Community-Aktion oder ein spielerisches Format. Erst wenn eine Marke als sympathisch, interaktiv und glaubwürdig erlebt wird, entsteht Bindung. Und Bindung ist die Voraussetzung dafür, dass jemand irgendwann auch bereit ist, für Inhalte zu bezahlen.

Ihre Studierenden haben vorgeschlagen, Belohnungssysteme in lokale News-Angebote zu integrieren. Wie könnte das aussehen?

Ein Punktesystem könnte Nutzer für Aktivitäten wie Lesen, Kommentieren oder Teilen belohnen. Diese Punkte ließen sich dann einlösen – zum Beispiel für exklusive Inhalte hinter der Paywall, Einladungen zu Veranstaltungen oder Angebote von Partnerunternehmen. So entsteht ein Kreislauf: Menschen beschäftigen sich aktiver mit Nachrichten, erleben einen Mehrwert und lernen gleichzeitig, dass Qualität ihren Preis hat.

Welche Rolle spielt die Community in diesem Konzept?

Eine zentrale. Die Community ist Ideengeberin, Multiplikatorin und Resonanzraum zugleich. Sie kann Themen vorschlagen, Feedback geben oder durch ihre Interaktion sichtbar machen, was junge Menschen bewegt. Natürlich sind manche aktiver als andere – aber das ist nicht schlimm. Entscheidend ist, dass alle erreicht werden, auch die stillen Mitleser. Denn gerade wenn es um demokratierelevante Themen geht, zählt jeder Kontaktpunkt.

Und wie geht es nun weiter?

Gemeinsam mit dem Branchenverband VDL weiten wir die Studie derzeit aus. Wir bringen Executives aus Medienhäusern direkt mit der Gen Z zusammen und diskutieren verschiedene Themenbereiche. Wir begleiten das wissenschaftlich und hoffen auf interessante Erkenntnisse. Ziel ist es, konkrete Antworten auf Fragen wie diese zu erhalten: Wann ist ein Inhalt für junge Menschen relevant? Wie muss er visualisiert werden? Und wann entsteht echte Zahlungsbereitschaft?

Außerdem arbeiten wir gerade an einem Projekt, das User-Needs mit einem Digitalen Zwilling verbindet. KI identifiziert dabei die jeweiligen User-Needs der Zielgruppe und erstellt auf Basis der durch den Redakteur recherchierten Fakten, Content, der Relevanz hat und passend aufbereitet ist, genau so, wie es die die verschiedenen Zielgruppen benötigen.

Abschließend: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Lokaljournalismus?

Mehr Mut. Mut, neue Wege zu gehen, Experimente zuzulassen, junge Menschen einzubinden. Lokale Medien sind ein demokratisches Rückgrat und sie verdienen es, mit Kreativität und Innovationsfreude in die Zukunft geführt zu werden.

Und wenn ich das noch sagen darf: Wir brauchen mehr Medienkompetenz in der Gesellschaft. Wir müssen da ganz vorne in der Bildung anfangen und ich würde mir wünschen, dass Medienpolitik zukünftig auch einen stärkeren Fokus erfährt, um Rahmenbedingungen für private und unabhängige Medienanbieter zu optimieren.